Lebenshilfe Schleswig-Holstein

Dienstag, 20. Oktober 2020

Arbeit zweiter oder dritter Klasse? - Positionspapier Lebenshilfe Schleswig-Holstein e.V.

Die Corona-Pandemie hat an vielen Stellen wie mit einem Brennglas zu Bewusstsein gefördert, was bereits vorher nicht im Sinne von Menschen mit Behinderung war. Die Rede ist in diesem Fall von der Entlohnung für Menschen, die in einer Werkstatt (WfbM) arbeiten. Wichtiges Detail: Es sind die Werkstätten selbst, die diese Veränderung dringend fordern.

Der Lohn der Mitarbeiter*innen mit Werkstattvertrag ist bei einem 6 – 8 Stunden Arbeitstag weit davon entfernt, auf dieser Basis ein selbstfinanziertes Leben führen zu können. Das bedeutet, dass die Menschen grundsätzlich Grundsicherung beantragen müssen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten – es sei denn, sie erhalten bereits eine Erwerbsminderungsrente und können in der Werkstatt noch so viel dazu verdienen, dass es gerade zum Leben reicht.
Die Pandemie-bedingten Betretungsverbote für die WfbMs und die damit aller Orten eingebrochenen Erträge machen die Auszahlung dieser Löhne nun aber auch immer schwieriger. Kurzarbeit ist nicht möglich, da es sich um ein sogenanntes „arbeitnehmer-ähnliches“ Verhältnis handelt. Bedeutet: Der Gang zum Sozialamt ist auch hier unumgänglich.

Verglichen mit angestellten Arbeitnehmer*innen auf dem sogenannten 1. Arbeitsmarkt bedeutet das eine Ungerechtigkeit unfassbaren Ausmaßes – da sie Menschen mit Behinderung einmal mehr in die Rolle des Bittstellers schiebt. Mit einer Begegnung auf „Augenhöhe“ und Inklusion hat das nichts zu tun!
Da, wo Verlässlichkeit und Stabilität notwendig wären, entstehen Unsicherheit und Zukunftsängste – oft auch eine Belastung für ganze Familien, da sich oft Eltern als gesetzliche Betreuer*innen um alle Amts- und Antragsnotwendigkeiten kümmern.

Wir wissen darum, dass das Entlohnungssystem der Werkstätten nicht vom einzelnen Leistungserbringer, d.h. von der einzelnen Werkstatt, zu verändern ist. Das Entlohnungssystem, bestehend aus einem Grundbetrag (ab Januar kommenden Jahres 99.-€/Monat), einem individuellen Steigerungsbetrag und dem Arbeitsförderungsgeld ist bundesweit festgesetzt. Somit muss es auch zeitnah eine bundesweite Reform geben, um auch beim Thema Entgelt Menschen mit Behinderung nicht weiter zu diskriminieren!

Deshalb fordert der Landesverband Lebenshilfe Schleswig-Holstein:
Das Entgeltsystem in WfbMs muss ein stabiles, verlässliches Einkommen ermöglich – oberhalb des Existenzminimums! Die Entgelte sind dafür vom Erlös der Werkstätten abzukoppeln, um auch in Zeiten wie einer Pandemie, die grundlegende Existenzsicherung unabhängig davon zu machen, Sozialleistungen beantragen zu müssen.


Die Arbeit von Menschen mit Behinderung in einer WfbM darf keine Arbeit zweiter oder dritter Klasse sein!


Kiel, 12.10.2020
gez.
Der Vorstand Lebenshilfe Schleswig-Holstein e.V.

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